Während der Kanalfahrt von Amsterdam zur Nordsee bereiteten wir uns auf den bevorstehenden Seegang und die erneute Nachtfahrt vor. Es wurde Milchreis vorgekocht und schon mal die Obstschale auf den Boden gestellt.
Der Seegang war dann auch wie erwartet hoch und weil es mal wieder gegen den Wind ging, war wieder ordentlich Bewegung im Schiff. Iris lag auf der Couch im Wohnbereich. Dort ist die Schiffsbewegung am geringsten und man kann es gut aushalten. Mathias versuchte tapfer, ordentliche Wendewinkel hinzubekommen und möglichst gut am Wind zu bleiben. Ich schrieb, wie berichtet, auf dem Bett an meinem Blog. Gegen 23:00 Uhr wurde das Schiff durch die Strömung und den Wind gegenan so langsam, dass wir die Segel runter nahmen und unter Motor weiterfuhren.
Als meine Wache begann, wunderte ich mich darüber, dass ich nicht mehr unter dem Segel durchgucken konnte. Wir hatten das Großsegel nur bis zum dritten Reff runtergenommen, weil keiner nachts auf Deck herumturnen sollte, um das Großfall zu angeln und festzubinden. (s.u. und Bild) Leuchten mit der Taschenlampe enthüllte, dass die Großsegelpersenning auf der einen Seite vom Baum herunterbaumelte. Das kann sie nur, wenn das Tau, an dem sie hängt, gerissen ist. Tatsächlich lag da ein gerissenes Ende!
Erst dachten wir uns nichts Schlimmes, liegt das eingefaltete Segel halt ein bischen auf der Seite. Aber nach und nach entfaltete es sich und Iris und ich weckten doch lieber Mathias. Gemeinsam umwickelten wir das riesige Segel und banden die Stoffmassen fest. Dabei war es hilfreich, die obere Couchnische zu haben, aber auf dem Rest des Oberdecks trugen wir schon unsere Lifebelts und hakten uns ein. Das Ganze fand beim Auf und Ab des Seegangs und ordentlich Fahrtwind statt.
Aufgrund dieser widrigen Umstände gaben wir die Idee auf, bis nach Dünkirchen zu segeln und liefen auf Zeebrugge zu. Dort kamen wir morgens gegen 10 Uhr an. Iris Tochter, die uns per AIS Track verfolgte, schickte folgendes Bild mit dem Kommentar: „Abgesehen davon, dass Ihr über die Hafenmauer gefahren seid, sehr zielstrebig.“
Der Schaden wurde begutachtet und Mathias ging los, um ein neues Tau zu kaufen. Danach erst den fehlenden Schlaf nachholen und nachmittags ging es ans Reparieren. Mathias hing auf halber Höhe in der Takelage und fädelte das Tau ein:
Nach diesem Zwangsaufenthalt in Zeebrugge ging es am nächsten Morgen weiter. Zwar immer noch gegen den Wind, aber diesmal war er nicht mehr so stark und die Fahrt verlief fast schon ereignislos, als plötzlich ein lautes Geräusch zu hören war. Hm, na ja, wird sich schon herausstellen, was das nun wieder bedeutete. Schien irgendwas im Schiffsinneren zu sein. Tatsächlich, beim nächsten Gang ins Bad versperrte ein Deckenpaneel den Weg. Es hatte sich im Seegang gelöst und war heruntergefallen. Die kann man leicht wieder einklicken, also halb so wild.
Der nächste große Schritt war das Überqueren des Verkehrstrennungsgebiets im Englischen Kanal. Dieses Ereignis verpasste ich komplett, weil ich mich auf dem Sonnendeck vor die Liege gelegt hatte, um Wind und Sonne zu genießen und mithilfe der Schaukelbewegungen schön eingeschlafen war. Mathias berichtete, dass er im Verkehrstrennungsgebiet etwas abgefallen ist, dadurch ordentlich Fahrt aufgenommen hatte und in 1,5 Stunden durch fahren konnte. Es lief also alles gut. Nur bis Dover war noch ein weiter Weg und mitten in der Nacht wollten wir dort nicht ankommen. Deshalb beschlossen wir, in der Themsemündung vor Anker zu gehen, um in Ruhe schlafen zu können und tagsüber Dover anzulaufen. Erst hatten Iris und ich Mathias in Verdacht, er wolle nur mal den Anker ausprobieren, aber der Platz war recht schön und wir waren auch froh über eine Nacht ohne Wachgänge, also eine echt gute Idee.
Am Tag darauf war an und für sich genügend Zeit, um Dover zu erreichen, aber der Wetterbericht kündigte einen kräftigen Sturm an und gab Sturmwarnungen durch. Der englische Wetterbericht verkündete, der Sturm sei in unserem Seegebiet „soon“. Tja, kann ja alles Mögliche heißen. Weit gefehlt, im Reeds Nautischen Almanach wird „soon“ in Wettermeldungen definiert und bedeutet in 6-12 Stunden. 4 Stunden sollten wir noch bis Dover unterwegs sein. Es blieb dann auch bei 20 bis 25 Knoten Wind und 2-3 m Welle.
Wenn man in Dover einfahren will, muss man sich per Funk bei der Port Control melden und um Erlaubnis bitten. Wir wurden zwischen zwei Fähren eingereiht. Eine große P&O Fähre fuhr noch an uns vorbei und durch die Hafeneinfahrt und wir folgten. Weil nach uns schon die nächste große Fähre anrauschte, mussten wir gleich zur Seite ausweichen, um dann an der Außenseite des Hafenbeckens Richtung Marinaeinfahrt fahren zu können. Im Hafenbecken brachten wir die Fender aus, dafür wäre es vor der Hafeneinfahrt viel zu schaukelig gewesen. Bei der Marina macht man erst vor dem Verwaltungsgebäude fest (super Einparken auf engstem Raum durch Mathias), dann bekommt man einen Platz zugewiesen und muss noch auf die Öffnung der Schleuse warten. Die Liegeplätze liegen hinter einer Schleuse, weil es hier große Höhenunterschiede im Wasserstand aufgrund der Gezeiten gibt. Die Schleuse öffnet nur um die Hochwasserzeit herum. Wir hatten Glück und mussten nur eine Stunde warten, bis wir einfahren konnten. Da haben wir das Schiff ordentlich vertäut und waren sehr froh über den geschützten Platz, als später und vor allem in der Nacht der Sturm durchzog, der Wind heulte und es ordentlich prasselnd auf das Schiff regnete.
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Den Tag in Dover nutzten wir natürlich mal wieder für Reparaturen. Die neu angebrachte Klampe am Heck und die Kurzwellenantenne waren nicht gut genug abgedichtet, was zu Wasser in den Garagen führte. Im Mittelrumpf mussten die Schellen an der Wasserleitung der Süßwasserpumpe nachgezogen werden. Mathias bastelte also wieder am Schiff. Iris und ich kümmerten uns um den Einkauf und die Wäsche. Mittags machten wir uns auf den Weg, um zum Dover Castle hochzusteigen und hoffentlich schöne Blicke auf die bewegte See zu erlangen. Daraus wurde nichts, denn das Castle war wegen des Sturms für Besucher geschlossen. Lief man Gefahr, von der Mauer heruntergeblasen zu werden? Oder könnte einem ein Stein auf den Kopf fallen? Mussten wir das Castle halt weiterhin nur von außen betrachten. Überhaupt, zuhause wären wir bei dem Wind gar nicht aus dem Haus gegangen, überall lagen herabgefallene Zweige auf dem Weg. Iris trockner Kommentar: „Die brüchigen Äste sind doch alle schon abgeblasen.“ Stimmt wahrscheinlich, das Wetter herrschte ja schon die ganze Nacht. Wir gingen noch in ein kleines Museum „Roman Painted House“. Dort wurden die Überreste eines römischen Hauses gezeigt, in dem man viele gut erhaltene Wandmalereien gefunden hatte. Es wurde auf einem älteren römischen Haus errichtet und später teils von einer neuen Wehrmauer überbaut, teils unter dem Schutzwall vergraben.
Gegen Abend blies der Wind tatsächlich etwas weniger doll und man hörte wieder gut die befahrene Straße, die direkt neben der Marina entlang führt. In Dover soll eine neue Marina enstehen, ein Plakat weist darauf hin, dass sie mit EU Mitteln gefördert wird. Ob daraus noch etwas wird….
Als wir aus der Dover Marina ausfahren wollten, verabschiedete uns der Hafenmeister mit den Worten: „I will open the lock for you, but it is still rough out there.“ Stimmt, nach dem Sturm war die See noch aufgewühlt und die Wellen weiter 2-3 m hoch. Die Fahrt Richtung Westen ging erneut gegen den Wind. Aber mit 2 Reffs und der Fock machten uns die 25 Knoten Wind nichts aus und der Seegang konnte uns nicht schocken. Es reichte mittlerweile die Aussicht, dass die See sich im Laufe des Tages weiter beruhigen würde, um ohne große Aufregung /Anspannung unterwegs zu sein. Wir machten 6-7 Knoten Fahrt durchs Wasser, aber die Strömung drückte uns zurück und so kamen wir unserem Ziel nur schleichend näher.
Für diejenigen unter Euch, die uns über den AIS Track beobachten: Die Detour vor Beachy Head ist darauf zurückzuführen, dass ich morgens am Steuer saß und die im Nachhinein betrachtet nicht so gute Idee hatte, eine Regenwolke umgehen zu wollen. Leider hatte ich mich nicht über den morgens anstehenden Winddreher informiert und so kam es dazu, dass Mathias die verlorene Höhe wieder erkämpfen musste, nachdem er übernommen hatte.
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Die Häfen entlang der Küste hier fallen zum Teil trocken, oder haben lange Einfuhrkanäle, bis nach Southampton wären wir noch eine ganze Weile unterwegs. Letztlich entschlossen wir uns, Iris in Brighton abzusetzen. Brighton stellte sich als schnuckeliger kleiner Hafen heraus. Da zur Zeit Gezeiten-Nipp-Zeit ist, hat der Hafen heute und morgen eine ausreichende Tiefe für uns*. Als ich anrief, um nachzufragen, warteten sie gerade auf die Messungen der Tiefen. Nach jedem Sturm wird hier nachgemessen und die Rinne wieder ausgebaggert. Bei der Einfahrt begleitete uns das lokale Rettungsschlauchboot und wir wurden per Handy gefilmt. Größere Yachten scheinen sich nicht allzu oft hierher zu verirren 😉
*In der Nipp-Zeit sind die Hochwasser niedriger und die Niedrigwasser höher, d.h. die Gezeitenunterschiede nicht so groß wie in der Springzeit.
Da wir nun mal in Brighton waren, mussten wir zur Seebrücke wandern. Erst wurde wieder eingekauft. Hier gibt es ja Alpen Cereal in Kilosäcken. Da musste ich schon aufstocken:
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Der Weg zur Seebrücke war recht weit. Hin gingen wir am Strand entlang. Der Strand besteht aus Kieselsteinen, man bleibt auf dem Wanderkantsteinweg. In Ortsnähe reihten sich Minigolfplätze, ein Freiluftkino und ein paar kleine Imbisse aneinander. Alles in allem kein hübscher Weg, der Rückweg entlang der auf dem Kliff verlaufenden Straße war da schon netter.
Die Seebrücke hat ja eher Jahrmarktscharakter, am Ende ist ein Rummelplatz mit Fahrgeschäften, am Anfang kann man durch eine Spielhalle laufen (oder außen rum gehen) und es gibt etliche kleine Essensbuden. Kurz vor dem Rummelplatz ist ein Restaurant mit Burgern und Fish and Chips auf der Speisekarte. Dort kehrten wir ein. Die Fish and Chips waren recht gut und wir freuten uns darüber, ein englisches Klischee zu erleben: Fish and Chips auf der Seebrücke von Brighton 🙂
Am Montag ging Iris von Bord, Mathias und ich machten uns zu zweit auf die Weiterreise. Wie sollte es auch anders sein, unser Weg führte gegen den Wind. Zumindest kam recht schnell die Sonne raus. Anfangs war sehr wenig Wind, der aber auffrischte. Southampton zu erreichen hatten wir mittlerweile aufgegeben. (Dabei hatte ich dort ja ursprünglich reserviert.)
Derzeitiger Standort ist vor der Isle of Wight, wo wir vor Anker liegen. Hier liegt man gut, nur der Wellengang kann einen noch erreichen. Das Boot wird stets leicht geschaukelt. Es steht wieder eine Reparatur an, die oberste Segellatte hat sich vom Läufer gelöst. Werden wir uns anschauen, wenn der Regen aufhört…..
Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
Liebe Birte, lieber Mathias,
das ist ja echt aufregend bei Euch.
Toll, dass Du so viele Bilder gemacht hast und genau berichtest, wie eure Fahrt weiter geht.
Es ist super spannend.
Weiterhin gute Fahrt!
Sabine
sehr cool!
endlich weg…
… das sage ich auch. Jeden Morgen um 6:00 Uhr schaue ich aus dem Fenster und mein Blick fällt auf den Firmenparkplatz. Was stimmt daran nicht? Dort steht ein weisses, vereinsamtes Auto; dabei dachte ich, dort dürfen nur schwarze Autos stehen 😜
Nein, das ist es nicht. Aber ich werde jeden morgen daran erinnert, dass der Autobesitzer gerade segelt, während ich meine Motivation allenfalls aus dem Kaffee schöpfen muss. Da stellt sich die Frage: ist das eigentlich Mobbing? 😉
Aber seit heute ist es anders. Der Wagen ist endlich weg🙂. Somit ist der demotivierend Anblick verschwunden und ich kann mich auf den Arbeitstag freuen.
Nur ab und zu kommt die Sehnsucht. Aber daran bin ich ja selber Schuld, weil ich mich mit meiner masochistischen Ader in den Blog eingetragen habe.😕
Nein, ernsthaft: Ich freue mich für euch und vielen Dank, dass ich virtuell etwas mitreisen darf🙂
Gute Reise!
Handbreit,
Jan
Hallo Birte,
ich freue mich immer auf einen neuen Eintrag! Es macht viel Spaß, deine Texte zu lesen – sie sind sehr “flockig” geschrieben 🙂
Weiter so!
Euch alles gute für die Weiterfahrt – lasst es euch gut gehen!
LG – Ennosan
Was gibt es schöneres als klettern? Klettern auf einem Schiff!!